KONTEXT:Wochenzeitung
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Kontext-Extra im Merlin

Frontal auf die Presse

Kontext-Extra im Merlin: Frontal auf die Presse
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Versuche, über den Rechtsweg gegen unliebsame Berichterstattung vorzugehen, kennt die Gesprächsrunde im Stuttgarter Kulturcafé Merlin nur zu gut: Am Sonntag diskutierten Kontext und Gäste über juristische Angriffe auf die Pressefreiheit.

Was ist eigentlich aus der guten alten Gegendarstellung geworden?, fragt der Investigativjournalist Sönke Iwersen. Früher war es sehr verbreitet, dass Unternehmen und Einzelpersonen, die sich durch Presseberichte zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt sahen, in den entsprechenden Medien Richtigstellungen abdrucken ließen. Nach Iwersens Eindruck ist es inzwischen beliebter, direkt auf Unterlassung zu klagen: Damit die unliebsamen Berichte komplett aus der Welt verschwinden.

Iwersen leitet des Investigativ-Ressort beim "Handelsblatt" und erläutert im Kulturcafé Merlin, dass es mittlerweile zum "Tagesgeschäft" gehöre, vor der Veröffentlichung von Texten Jurist:innen zurate zu ziehen: "Im Investigativ-Ressort gibt es keinen einzigen Text, der vorab nicht gelesen wird von der Rechtsabteilung." Im Zweifel kann eine Klage existenzbedrohlich werden – etwa wenn sich eine Zeitung mit einem Multimilliardenkonzern anlegt. Iwersen selbst ist maßgeblich beteiligt an der Enthüllung der "Tesla-Files". Durch einen Whistleblower im Unternehmen des Tech-Milliardärs Elon Musk erfuhr er von mangelhaftem Datenschutz im Konzern: Alle Mitarbeiter:innen konnten auf sämtliche sensible Daten von Kolleg:innen zugreifen – von Sozialversicherungsnummern und Kündigungsgründen bis hin zum Gehalt von Musks Bodyguard war alles einsehbar. Auch dass der Autopilot für die E-Autos offenbar nicht ganz so hervorragend funktioniert, wie es Musk propagiert.

Eine Veröffentlichung über diese Missstände könnte Milliarden Euro an Börsenwert vernichten. Und erfolgreiche Klagen gegen entsprechende Berichte "hätten unser Haus zerstören können", sagt Iwersen. Denn nicht nur Tesla und Chef Musk, sondern jeder Großaktionär hätte wegen gefallener Aktienkurse auf Kompensation klagen können. Doch der "Handelsblatt"-Verleger gab grünes Licht für eine Veröffentlichung, wenn sich alles wasserfest beweisen lasse. Und es ging glimpflich aus fürs "Handelsblatt": Klagen – und damit Kosten durch einen Rechtsstreit – blieben bisher aus.

Immer das Kostenrisiko im Hinterkopf

Dass Redaktionen bei investigativen Recherchen das Kostenrisiko im Hinterkopf behalten, ist dennoch eine heikle Entwicklung und darf nicht dazu führen, dass Journalist:innen die Finger von brenzligen Themen lassen. Darüber waren sich alle Beteiligten einig bei der Diskussionsrunde vergangenen Sonntag: Als Extra-Veranstaltung der Kontext-Gesprächsreihe im Merlin saßen neben Iwersen Kontext-Rechtsanwältin Franziska Schaible von der Kanzlei Oppenländer, taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann, Kontext-Chefredakteurin Anna Hunger und Moderator Stefan Siller auf der Bühne.

Medienhäuser, die juristisch unter Druck gesetzt werden: Davon konnten alle Podiumsgäste aus Betroffenenperspektive berichten. Kontext traf  vor sieben Jahren eine Klage mit enormem Kostenrisiko. Der Auslöser: Facebook-Chats, die der Redaktion zugespielt wurden, in denen sich ein damaliger Mitarbeiter zweier AfD-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg menschenfeindlich, rassistisch und antisemitisch äußerte. Kontext veröffentlichte Auszüge und nannte den Namen des Mannes, dieser zog vors Gericht. Mehrere Urteile wurden gesprochen, vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Eilverfahren) und dem Landgericht Frankfurt/Main (Hauptsacheverfahren) gewannen wir. Der Kläger legte beide Male Einspruch ein. Ende März dieses Jahres kam dann der Richterspruch des Oberlandesgerichts (OLG) in Frankfurt/Main, der den Fall ganz anders bewertete: Der rechtsextreme Kläger erhielt Recht, während Kontext hohe Gerichtskosten tragen und 25.000 Euro Schadenersatz zahlen soll (eine ausführliche Übersicht zum Rechtsstreit hier).

Kohle zahlen an einen Neonazi – das ist mehr als ärgerlich, sagte Kontext-Mitgründer Josef-Otto Freudenreich zu Beginn der Veranstaltung. Und es wäre guter Stoff für einen Veranstaltungstitel. Schlussendlich lautete der aber doch: "Frontalangriff auf die Pressefreiheit", auf Empfehlung des langjährigen Kontext-Anwalts Markus Köhler. Denn das Urteil und die Begründung bergen Folgen in einer viel größeren Dimension: Die Kammer könne die Glaubwürdigkeit der Quelle nicht einschätzen, hieß es darin, da Kontext keine näheren Informationen zum Informanten preisgab – daher sei eine Fälschung nicht auszuschließen, auch wenn dafür keine konkreten Anhaltspunkte vorlägen. Mit dieser Begründung schwächt das Gericht den Quellenschutz und damit die Pressefreiheit an sich.

"Fliegender Gerichtsstand" erhöht Chancen der Kläger

Wie es denn sein kann, dass verschiedene Gerichte den gleichen Fall so unterschiedlich bewerten?, wollte Moderator Siller wissen. Rechtsanwältin Schaible, die Kontext in dieser Angelegenheit zusammen mit Markus Köhler seit Jahren vertritt, verweist auf ein Sprichwort: "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand." Dennoch seien sie in der Kanzlei sehr irritiert gewesen von der Begründung des OLG Frankfurt. Besonders eine Sache habe das Anwaltsteam "kalt erwischt": Das Gericht hat den ohnehin schon außergewöhnlich hohen Streitwert von 260.000 Euro auf 480.000 Euro fast verdoppelt. Es gab für diesen Schritt noch nicht einmal einen entsprechenden Antrag vom Rechtsbeistand des Neonazis.

Auch Ulrike Winkelmann findet Teile des Urteils aus Frankfurt fragwürdig – und weiß als Chefredakteurin der taz von eigenen Rechtsstreitigkeiten zu berichten. Eine davon könnte vom Kostenrisiko her eine ähnliche Dimension wie bei Kontext annehmen: Vor kurzem hat die taz über Vater und Sohn Rahmani berichtet, zwei afghanische Männer, die wegen mutmaßlicher Korruption von den USA sanktioniert wurden. Mindestens einer davon ist Immobilieninvestor in Baden-Württemberg. Winkelmann beklagt, dass dabei nicht der eigentliche Kern der Geschichte angegriffen werde, sondern eher kleine Details. Aber auch wenn es gelinge, diese Angriffe erfolgreich abzuwehren, sei dennoch schnell die gesamte Recherche diskreditiert.

Eine weitere Parallele zum Kontext-Fall: Sowohl der rechtsextreme Kläger als auch die afghanischen Warlords beauftragten die Anwaltskanzlei von Ralf Höcker. Der habe "sich einen Namen gemacht als Anwalt, der besonders aggressiv gegen Medien vorgeht", berichtet das Medienportal "Übermedien". Die Kanzlei übernimmt viele Klagen, die sich gegen Medienberichte wenden. Das Muster ist dabei meist ähnlich: Für den Prozess sucht sich die Klägerseite ein Gericht, vor dem es sich die größten Chancen ausmacht zu gewinnen. Das ermöglicht der "fliegende Gerichtsstand", erläutert Rechtanwältin Schaible: Überall, wo die entsprechenden Presseerzeugnisse erscheinen, kann geklagt werden – im Falle von Kontext und taz also in ganz Deutschland. Dabei gelten manche Kammern als weniger pressefreundlich als andere.

Erfolgreich Zweifel säen

Und noch einen weiteren "Service" bieten manche Kanzleien: eine Gegenerzählung im Sinne ihrer Mandant:innen zu verbreiten. Anna Hunger nennt als Beispiel die "Correctiv"-Recherche zum "Geheimplan gegen Deutschland" und dem Treffen von Rechtskonservativen und -extremen in Potsdam. Auch hier zog ein Teilnehmer gegen die Berichterstattung in Hamburg vor Gericht und bekam zumindest in einem von drei Punkten Recht. Ein Nebenaspekt, der den Kern der Recherche nicht angreift, musste geändert werden. Dennoch: Mit dem Verfahren wurden erfolgreich Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Berichtes gesät. Mittlerweile höre man zu der Recherche fast immer Sätze wie "Irgendwas war doch da nicht ganz richtig", sagt Hunger. Eine bedenkliche Entwicklung. "Man wird für ein Detail rangekriegt", bestätigt auch Winkelmann. Als Journalist:in gehe man aus so einem Gerichtsprozess "gelackmeiert raus".

Doch nicht nur die Presse steht zunehmend juristisch unter Druck. Auch die Zivilgesellschaft sieht sich zunehmend mit Klagen konfrontiert. Peter Grohmann vom Bürgerprojekt "Die AnStifter", das den Abend im Merlin mitveranstaltete, wies in seinem Schlusswort auf bedenkliche Entwicklungen in Bayern hin: Durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs wurde die Stadt Nürnberg gezwungen, aus der "Allianz gegen Rechtsextremismus" auszutreten. Geklagt hatte die (gesichert rechtsextreme) AfD, die durch die Mitgliedschaft das kommunale Neutralitätsgebot verletzt sah. Zugleich würden kaputtgesparte Redaktionen laut Grohmann immer seltener Reporter:innen zu Demonstrationen schicken, sodass diese in der Berichterstattung weniger Beachtung finden. Zwei Dinge ruft er der Zivilgesellschaft zu: "zusammenhalten und solidarisch bleiben".

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1 Kommentar verfügbar

  • Dr. Edmund Haferbeck
    vor 3 Tagen
    Antworten
    Es sind ja nicht nur die Medien, die per SLAPP-Klagen angegriffen werden: Auch NGO's sind seit Jahren (ich würde behaupten, noch viel länger als Medien) im Fokus mächtigster Branchen, die NGO's und ihre (teils ehrenamtlichen) Vertreter finanziell und wirtschaftlich ruinieren wollen. Und bei NGO's…
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